about

PINA RÜCKER KLANGKUNST

Pina Bettina Rücker erforscht als Musikerin und Klangkünstleri die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten ihrer Quarzglasschalen im konzertanten Raum. Diese stammen -als Quarztiegel- aus der Halbleiterindustrie, sie dienen der Züchtung von Silizium-Monokristall-Schichten. Pina Rücker hat aus dem faszinierenden Kontext von industrieller Hochtechnologie und analogem Sinuston ein neues Musikinstrument entwickelt und maßgeblich zu Akzeptanz und Einsatz in der musikalischen Welt verholfen. Ihre Auftritte finden in Kirchen, Konzerträumen, Galerien, Clubs statt, sie spielte auf Festivals für Klassik (mdr-musiksommer, moviementos) oder experimentelle Musik (sinwald, sinusTon, ZixP, StelzenFestspiele bei Reuth), Weltmusik (Lauschrausch, Ancient Trance) Techno (KONG, Garbicz) den Jazztagen Leipzig und auch dem ChaosComputerClub - Congress. In Zusammenarbeit mit Künstlern wie Ingala Fortagne, Gesine Adler (Sopran), Hayden Chisholm (Saxophon), Kinan Azmeh (Klarinette), Gert Anklam (Sheng) entstanden sieben CD-Produktionen. Sie ist Mitglied des zwölfköpfigen „Ensemble Modele Reduit“ für experimentelle Musik und Improvisation. Seit 2018 arbeitet sie zunehmend mit Künsterl:innen der elektronisch experiemntellen Szene (Marek Brandt, CFM, Stefan Schleupner). Audiovisuelle Arbeiten und Audioinstallationen entstanden mit Lucian Patermann (mixed media) oder Marek Brand/trashpuzzle. Des Weiteren: ’flugwesen’ (2019 Brehmgedenkstätte Renthendorf, 2022 salon de refusees Berlin), Mitwirkung res.o.nant (Jüdisches Museum Berlin 2018) sowie TRaumKLangRaum oder Dive In (Tapetenwerk Leipzig mit Martha Kiesow bzw. VJ Grobkorn). Bisher entstanden vier Kompositionen für sie: Tamara Friebel "know thy swan" 2022 (ensemble echo_von_nichts UA Graz ) „a fragmented hyazinth stain“ UA 2010; rec. 2018 mit Hayden Chisholm 2022), Urszula Myscinska „sunken cities“ (8-Kanal-Installation Wien 2009), Thomas Christoph Heyde „es kippt“ Videoinstallation GfZK 2013).

Die Reihe Solo + Gäste "wunderkammer" versucht, verschiedene Dimensionen von Zeit musikalisch zu erfassen. ZEITKRISTALL (wunderkammer) wird hörbarer Kristallisationspunkt von vier Zeitformen: Im Kern der Arbeit befinden sich analoge Klänge aus dem Material Siliziumdioxid, die auf verschiedene musikalische Denkmale/Artefakte (Melodien) des europäischen Mittelalters bis zur Renaissance (Blütezeit wunderkammer) zugreifen. Diese werden verwendet als Kontaktaufnahme zur geschichtlichen (linearen) Wahrnehmung von Zeit verwendet; die Volkslieder und Stücke der Gregorianik sind geographisch (räumlich) in Europa verwurzelt. Klang wird hier selbst Erinnerungsbild, Kontakt entsteht zur kulturellen Tiefenschicht, die Koexistenz von Vergangenheit und Zukunft in Klang und Material verschmilzt in gehörter / erlebter Gegenwart. Diese Melodien werden durch durch die besondere Schwingungsart der Klänge unter die Zeitlupe gehalten - es entstehen in der Aufnahme mikroskopische mikrotonale Raum-Klang-Bewegungen innerhalb der Melodien: eigene Klangräume hinter den Linien. Zeit wird so erfasst als historischer Raum und in der Gegenwart des Hörens als sich dehnender melodischer Raum, in dem wiederum eigene Räume innerhalb einer melodischen Linie entstehen - ein zusätzlicher RaumZeitAspekt entsteht oder wird abbildbar. Die Klänge sind Interface zum molekularen Reich von Sand und Wasser sowie zeitliche Kernschmelze von historischem Klang-Artefakt und Zukunftstechnologie. Eine Zeitreise im mehrfacher Hinsicht entsteht, die Klangobjekte sind Schmelzraum und Zuchtstation für Zukunftzeit.

Instrument

QUARZGLASSCHALEN/
KRISTALLSCHALEN ALS INSTRUMENT

Quarzglasschalen oder - eben romantischer - Kristallklangschalen bestehen zu 99,9% aus reinem Quarzsand (Siliziumdioxid), chemisch identisch mit Bergkristall, jedoch ohne Kristallstruktur. Dieser wird auf über 3000 Grad Celsius erhitzt und dann durch Zentrifugieren in seine Form gebracht. Die so entstandenen Schalen werden vorrangig genutzt, um darin mithilfe eines Starterkristalls Silizium-KristalleSchichten für die Halbleiterindustrie zu züchten (Silizium - Granulat wird in den Schalen geschmolzen und dann in Kristallform gebracht: Czochralski-Verfahren). Sie werden ausserdem zur Herstellung von Legierungen und auch bei experimentellen Brennvorgängen genutzt. Erst Ende des letzten Jahrhunderts wurden sie in den USA als Klangwerkzeuge entdeckt.

Seit der Entstehung der Halbleiterindustrie sind Quarzkristallschichten, durch ihre technologische Nutzung zur Funktionsgrundlage des elektronisch basierten Lebens geworden, ich nenne sie daher (klingende) "Schmelztiegel für die digitale Zukunft im Siliziumzeitalter".

Die Schwingungswirkung mit ihren außergewöhnlichen Raumklangverhalten, das auch meßbar die Klangbewegung verändert, beruht auf der Anordnung der Moleküle durch "Sintern" bei der Herstellung und durch die 2-schichtige Innen-/Außenwand Konstruktion (opake Außenzone und transparente Innenzone), die im Patent beschrieben ist:

BERGEDORFER ZEITUNG

PATENT

Durch Anreiben der Schalen mit einem Klöppel entstehen außerordentlich reine Sinustöne, die so von keinem anderen natürlichen Instrument erzeugt werden. Diese Klänge wandern und überlagern sich, werden moduliert, die Amplitude ändert sich und die Phasen verschieben sich. Wellen entstehen, breiten sich aus und werden reflektiert. Der Schall bildet den Raum mit allen Eigenheiten ab und jede Stelle hat ihren eigenen spezifischen Sound, Interferenzen, Überlagerungen oder Auslöschungen.

Im Klang der Quarz-/Kristallschalen sind zwei Obertöne enthalten, alles weitere ist Abbildung des Raumes im Klang, dieses Phänomen macht den Klang vergleichbar mit dem eienr mittelalterlichen Bienenkorb-Glocke. Sekundäre Klangerscheinungen wie das Hören von Differenztönen, Partialtönen bzw. Schwebungen beim Erklingen von mehreren Tiegeln begleiten das Klangerleben.

Und so wie Wasser in den Schalen anfängt, einen Springbrunnen zu erzeugen, wenn sie angerieben werden – so wird auch das Wasser in unserem Körper in Schwingung gebracht, denn er besteht bis zu 70 Prozent aus Wasser, die Knochen aus 20 Prozent Wasser, Blut zu 90 Prozent. Klangschwingungen haben daher naturgemäß auch eine Wirkung auf die mit Wasser angereicherten Zellen, gut erkennbar in allen Varianten der Cymatics. Die Möglichkeit, Frequenzen körperlich spürbar zu machen, hat gewöhnlich nur der Parameter Lautstärke. Die Quarzglasschalen bieten mit ihren ungewöhnlichen und faszinierenden Sounds ein hochgradig immersives Klang-Raum-Körper-Wirklichkeitserleben.

Quarzmusik-Kristallschalen sind das langsamste Musikinstrument der Welt. Sie verlangen vom Spieler und Hörer ein Höchstmaß an Hingabe - in den Klang, in den Augenblick, in das Werden und Vergehen von Beidem. Sie verlassen mit ihrem außergewöhnlichen Sound die normalen Hörgewohnheiten und erschließen eine neue akustische und musikalische Welt. Anfangs auftauchende Hör-Halluzinationen, bei denen Einzeltöne und ganze Sounds im Ohr abgebildet werden, die so gar nicht erklingen ("Engelschöre",  Geigen, Flöten, Orchesterklänge etc.) zeigen die Adaptionsprobleme unseres Gehirns, die Klänge mit vorhandenen Informationen aus dem Hör-Gedächtnis zu "erklären" oder rational abzubilden.